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Film und Kunst nach dem Kino

Lars Henrik Gass: Film und Kunst nach dem Kino. Hamburg 2012. Philo Fine Arts, 136 Seiten. 10,00 Euro

Film und Kino

Von Stefan Jung »Das Buch handelt davon, wie dem Film das Kino abhandenkommt«, schreibt Lars Henrik Gass gleich zu Beginn seiner kompakten Abhandlung über die Essenz des (gegenwärtigen) Kinos und schickt uns auf den folgenden Seiten auf eine Reise durch spannende Jahrzehnte der Kinoentwicklung. Zunächst greift er anhand einzelner Filme und Regisseure einen stets veränderten, gleichwohl für das Kino immer auch typischen Blick auf das Gesehene auf. Es gelingt ihm, in wenigen Absätzen eine semiotisch fundierte Sichtweise herauszustellen, die niemals das Publikum, die Rezipienten aus den Augen verliert: sei es Spielbergs Strategie des »unmöglichen Blicks«, Wylers immer noch faszinierende Darstellung einer dem Kino inhärenten Figur (Audrey Hepburn) oder eben jenes filmische Produkt namens Pokemon (2000), das am Ende offensichtlich Projektionsfläche für ein anderes Produkt bleibt.

Beispiele können trotz repräsentativer Stärke immer nur einen gestalterischen Bruchteil der Kinoveränderung darstellen (auch Video-Virtuosen wie Spike Jonze oder Michel Gondry werden erwähnt) und technische Charakteristika des Films wurden über Jahrzehnte hinweg immer auch durchgängig diskutiert. Entscheidend bleibt für Gass das Umfeld, in welchem Film gesehen (bzw. gezeigt) wird.

Neben der Loslösung vom traditionellen Kinosaal, dem verlegten Auswertungsschwerpunkt auf Home Media sowie nicht zuletzt zum ununterbrochenen Flow des World Wide Web, der es uns gegenwärtig ermöglicht, tatsächlich so viele Filme wie niemals zuvor zu sehen, bleibt für Gass vor allem eines entscheidend: Filmfestivals. Sie lösen langsam aber sicher die ursprüngliche Funktion von »Kino« ab und bieten heute gerade jenen (Flucht?-)Punkt, der sowohl eine kollektive wie ebenso exklusive Erfahrung bietet. Filmfestivals, das schreibt der Autor zugleich, laufen dann Gefahr, gesellschaftlich irrelevant zu werden, wenn sie die Passivität des Kinobesuchs (ähnlich der des Fernsehens) nicht unterlaufen können, sondern durch falsche Partizipation ein Teil des gleichen Stagnationssystems werden.

Selbst wenn es Kino nicht einmal mehr in dieser erstrebenswerten Form geben sollte, Film (als einheitliche Kunstform und nicht nur zerstückeltes Produkt) besteht solange, wie wir Zuschauer darüber lesen, diskutieren und berichten. Dann ist Kino vielleicht schon historisches Sujet und wir Geschichtsschreiber (wenn z. B. viele Festivalfilme nicht mehr im Kino gezeigt werden), aber wir sind dabei nicht allein – auch das hat uns die neue Medialität des Kinos bereits spüren lassen. 2012-11-30 14:00

Abdruck

Dieser Text ist erstmals erschienen im Schnitt #68.
© 2012, Schnitt Online

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