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Jungfrau (40), männlich, sucht… (The 40-Year-Old Virgin, Judd Apatow, 2005)

Das Apatow-Prinzip

Freaks und Geeks in der aktuellen amerikanischen Komödienlandschaft

Von Nils Bothmann In der aktuellen US-Komödie gibt es verschiedene Tendenzen und Komikergruppen, die alle auf ihre Art erfolgreich sind. Adam Sandler und Jim Carrey verkörpern ihre sich über die Jahre hinweg verändernden, aber in gewissen Punkten konstanten Rollentypen, seit kurzem sind die Dramödien der Mumblecore-Schule sehr gefragt und das so genannte »Frat Pack« aus Ben Stiller, Owen Wilson, Vince Vaughn, Will Ferrell und Luke Wilson war gerade zu Beginn des neuen Jahrtausends eine sichere Bank an der Kinokasse. Natürlich ist nicht jeder Komiker auf einen Stil festgelegt, Ben Stiller legte mit seiner Greenberg-Hauptrolle einen Mumblecore-Vorzeigefilm vor und Will Ferrell dreht mit Regisseur Adam McKay eigenwillige Komödien, die sich vom Humor des Frat Pack unterscheiden. Seit seinem Überraschungserfolg Jungfrau (40), männlich, sucht… (The 40-Year-Old Virgin, 2005) ist Regisseur, Produzent und Drehbuchautor Judd Apatow ebenfalls eine der tonangebenden Kräfte im amerikanischen Filmgeschäft. Dabei ist Apatow jedoch kein »auteur« im klassischen Sinne, sondern viel eher das Aushängeschild einer ganzen Gruppe von Kreativen, mit denen er kontinuierlich zusammenarbeitet. Die beliebte »Do you know how I know you’re gay«-Szene aus Jungfrau (40), männlich, sucht… wurde z. B. von den Apatow-Spezis Paul Rudd und Seth Rogen improvisiert, ist also nicht Apatow als Regisseur und Drehbuchautor des Films zuzuschreiben.

Judd Apatow, geboren am 6. Dezember 1967, sog von Kindesbeinen an Komik ein, zählt Leute wie James L. Brooks, Garry Shandling und Cameron Crowe zu seinen Inspirationen, teilte eine Wohnung mit Adam Sandler und begann seine Karriere bei Fernsehserien wie The Larry Sanders Show und The Critic. Seine ersten Ausflüge ins Filmgeschäft waren von wenig Erfolg gekrönt: Mit Cable Guy (1996) verantwortete er als Überarbeiter des ursprünglichen Drehbuchs und Produzent den ersten großen Flop in Jim Carreys Karriere, der von ihm geschriebene Jugendfilm Pfundskerle (Heavyweights, 1995) ging ebenso unter wie die Komödie Das große Basketball-Kidnapping (Celtic Pride, 1996). Allerdings lernte er am Set von Cable Guy seine spätere Frau, die Schauspielerin Leslie Mann, kennen, bei den Dreharbeiten zu Pfundskerle den Autor, Regisseur und Schauspieler Paul Feig, der dort eine Nebenrolle innehatte. Nach diesen zugegeben auch sehr mäßigen Filmen sollte die Rückkehr ins Fernsehen die Grundlage für das spätere Apatow-Prinzip bilden: 1999 arbeitete er als Produzent sowie als Regisseur und Autor einiger Folgen an der von Paul Feig kreierten Serie Freaks and Geeks mit – für viele ist Apatow gar der zweite Schöpfer der Serie. Feig, der auch die autobiographischen Bücher »Kick Me: Adventures in Adolescence« und »Superstud or: How I Became a 24-Year-Old-Virgin« schrieb, verarbeitete hier Erfahrungen aus seiner eigenen Schülerzeit in den 1980ern. Die unaufgeregte Serie kam beim Fernsehpublikum nicht an und wurde frühzeitig abgesetzt. Kaum besser erging es Undeclared, einer von Judd Apatow kreierten Sitcom über Jugendliche am College, die verschiedene Teile des Freaks and Geeks-Teams übernahm, welche ebenfalls nach einer Season abgesetzt wurde und deren Folgen vom Sender noch dazu in verkehrter Reihenfolge ausgestrahlt wurden. Sowohl Freaks and Geeks als auch Undeclared ernteten großes Kritikerlob, wurden als Kultobjekte wiederentdeckt und aufgrund der Initiative der Hauptverantwortlichen Paul Feig und Judd Apatow als DVD-Editionen in den USA herausgebracht, für die Apatow, Feig und andere Beteiligte Unmengen von Bonusmaterial beisteuerten. Hierzulande wurden beide Serien durch eine gänzlich unpassende Titelwahl (aus Freaks and Geeks wurde Voll daneben, voll im Leben, aus Undeclared wurde American Campus – Reif für die Uni) und schlechte Programmplatzwahl zum Scheitern verurteilt.

Trotz des Mißerfolgs beim Publikum formierte sich hier ein Team aus Autoren, Regisseuren, Produzenten und Schauspielern, dessen Mitglieder oft mehrere der genannten Funktionen wahrnehmen: Seth Rogen war ursprünglich nur als Autor für Undeclared engagiert worden, hatte aber bereits in Freaks and Geeks eine Hauptrolle innegehabt und wurde auf Judd Apatows Drängen hin zum Stammcast von Undeclared hinzugefügt. 2004 wurde die erste Will Ferrell/Adam McKay-Kooperation Anchorman zum ersten von Apatow produzierten Hit, das Gespann sollte für ihn noch Ricky Bobby – König der Rennfahrer (Talleda Nights: The Ballad of Ricky Bobby, 2006) und Stiefbrüder (Step-Brothers, 2008) drehen. Obwohl Apatow und sein Kernteam immer wieder an den Filmen mitarbeiteten, so blieben Ferrell und McKay in ihrem Humorverständnis autark und legten mit Die etwas anderen Cops (The Other Guys, 2010) ohne die Beteiligung des Apatow-Teams oder seiner Produktionsfirma nach.

Doch kurz nach dem Anchorman-Erfolg sollte mit Jungfrau (40), männlich, sucht… 2005 nicht nur der erste Apatow-Spielfilm im Freaks and Geeks-Geist entstehen, sondern auch noch über 177 Millionen Dollar einspielen. Bei dem Nachfolgewerk Beim ersten Mal (Knocked Up, 2007) konnte Apatow nicht nur seinem Weggefährten Seth Rogen dessen ersten Part als Leading Man verschaffen (für den er ihn eigentlich schon bei Undeclared angedacht hatte), sondern den Erfolg des Vorgängers noch toppen: Rund 219 Millionen Dollar Einspiel und diverse Nennungen auf Jahresbestenlisten waren der Lohn des Teams. Hiernach war Apatow zum Markennamen geworden, der bei der Vermarktung der folgenden Produktionen hilfreich war. 2009 jedoch war kein gutes Jahr für ihn: Erst scheiterte die wahrhaft katastrophale Steinzeitkomödie Year One bei Kritik und Publikum, bei der er allerdings nur als Produzent auftrat. Schwerwiegender war das Schicksal seiner dritten Spielfilmregiearbeit Wie das Leben so spielt (Funny People): Judd Apatow nutzte die Freiheit als angesagtester Komödienmacher für seinen vielleicht persönlichsten Film, der zu einer Art Heaven’s Gate (1980) des Genres wurde. Mit rund 71 Millionen Dollar Einspiel bei einem Budget von 75 Millionen ruinierte Funny People kein Studio im Ausmaß von Ciminos Westernepos, doch der ausbleibende Erfolg drückte das Unverständnis für einen Film aus, der mit über zweieinhalb Stunden mehr als überlang für eine Komödie war, noch dazu eine, deren Plotentwicklung minimal ist und die viel eher ein Blick auf das Business der Stand-Up-Comedians sein will, in dem die beiden Hauptdarsteller Adam Sandler und Seth Rogen sowie Apatow selbst ihre Karrieren begannen. Zusätzlich markierte Hangover zeitgleich eine Trendwende in der US-Komödie, um Apatow wurde es stiller. 2010 wurde das Forgetting Sarah Marshall-Spin-Off Männertrip (Get Him to the Greek) zu einem soliden Erfolg, 2011 sollte es dann Paul Feig sein, der als Regisseur des von Apatow produzierten Brautalarm (Bridesmaids) wieder einen Superhit für die Produktionsfirma seines Weggefährten landete. Jüngst waren die Apatow-Produktionen Wanderlust (2012) und Fast verheiratet (The Five-Year Engagement, 2012) in den deutschen Kinos zu sehen.

Bei einem Blick auf das Schaffen des Multitalents fällt auf, daß nicht jede Apatow-Produktion eine Produktion im Geiste eines Freaks and Geeks ist. Trotz Regie des _Freaks and Geeks_/_Undeclared_-erfahrenen Jake Kasdan und diverser Gastauftritte von Apatow-Regulars ist Walk Hard (2005) eine reinrassige Parodie und Year One eine dämliche Fäkalkomödie, seine Drehbuchmitarbeit bei Fun with Dick and Jane (Dick und Jane, 2005) sowie Leg dich nicht mit Zohan an (You Don’t Mess with the Zohan, 2008) drückt den fertigen Filmen nicht seinen Stempel auf. Auch die von Apatow produzierten und von Teilen seiner Stammcrew geschriebenen Ein Mann für alle Unfälle (Drillbit Taylor, 2008) und Ananas Express (Pineapple Express, 2008) besitzen nur teilweise die Eigenschaften von Apatows Vorzeigefilmen – obwohl das Figureninventar und das Casting von Drillbit Taylor diesen stellenweise wie ein Superbad-Prequel aussehen läßt, obwohl Pineapple Express die Freaks and Geeks-Kumpel Seth Rogen und James Franco vor der Kamera vereint. Tatsächlich gibt es Filme, die nach dem Apatow-Prinzip fungieren, obwohl er gar nicht daran beteiligt war: David Wains Vorbilder!? (Role Models, 2008) und John Hamburgs Trauzeuge gesucht! (I Love You, Man, 2009) – an beiden Filmen haben aber Weggefährten von ihm wie Paul Rudd und Jason Segel mitgearbeitet. Von daher greift, wie eingangs gesagt, die Idee des klassischen »auteurs« nicht, das Apatow-Prinzip fußt auf bestimmten Einflüssen, die seine Regiearbeiten The 40-Year-Old Virgin, Knocked Up und Funny People, die von ihm produzierten Filme Superbad, Nie wieder Sex mit der Ex (Forgetting Sarah Marshall, 2008), Get Him to the Greek, Bridesmaids, Wanderlust und The Five-Year Engagement ebenso auszeichnet wie Role Models und I Love You, Man. Mit Wanderlust arbeitet David Wain, der bereits Role Models nach dem Apatow-Prinzip drehte und zu dessen Stammcrew auch der Apatow-Spezi Paul Rudd gehört, erstmals für ihn.

Filme nach dem Apatow-Prinzip nehmen häufig die Leute ins Auge, die bereits dem Urknall des Apatow-Universums ihren Namen gaben: Die Freaks und die Geeks. Wobei die Protagonisten nie überzeichnete Karikaturen mit absurden Namen wie Ace Ventura oder Napoleon Dynamite sind, sondern die Form von Nerd, die es tatsächlich gibt. Sie sammeln Actionfiguren (The 40-Year-Old-Virgin), träumen davon mit einer Internetseite über Nacktszenen in Filmen reich zu werden (Knocked Up) oder möchten Dracula nicht nur als Musical inszenieren, sondern als Musical mit Puppen (Forgetting Sarah Marshall). Ähnlich wie im Askewverse von Kevin Smith (einer der Wegbereiter des Apatow-Prinzips) können sie ihre Nerd-Fachgebiete breit diskutieren, mit ehrlicher Begeisterung davon erzählen: Hier werden die Außenseiter nicht geächtet, sondern ihre Hingabe bewundert. Wie so viele Medienerzeugnisse der Postmoderne kommt auch der Output des Apatow-Universums nicht ohne intermediale Referenzen aus, die die Filme jedoch behutsam streuen. Selten wird auf obskure Medienerzeugnisse und vergessene Klassiker verwiesen wie bei Tarantino, statt dessen verwenden die Apatow-Protagonisten Metaphern und Verweise so, wie es auch die Zuschauer tun würden. Wenn Cal Andy in The 40-Year-Old Virgin Anmachtips gibt und sagt: »You have to be like David Caruso in Jade«, dann soll dies kein Ritterschlag für den gefloppten Friedkin-Film von 1996 sein, sondern tatsächlich nur eine Orientierung für die Filmfigur Andy. Wobei im Apatow-Universum natürlich auch die eigenen Favoriten zitiert werden, etwa dann, wenn ein Date zwischen Sam und seinem Schwarm Cindy in Freaks and Geeks der Kinobesuch des Steve-Martin-Vehikels The Jerk (Reichtum ist keine Schande, 1974) ist und Cindys Ablehnung des Films die junge Beziehung auf eine harte Probe stellt. Häufig ist jedoch nicht klar, ob einer der Beteiligten da eigene Favoriten anpreist: Wenn Steven in Undeclared als Film für das Date mit seiner Freundin Last Boy Scout (1991) aussucht, dann ist nicht gesagt, ob man dem Film huldigen will, oder dies einfach nur die realistische Wahl eines jungen, beziehungsunerfahrenen College-Studenten sein soll. Meist werden die Verweise für den komischen Effekt genutzt, etwa wenn die größtenteils jüdische Clique aus Knocked Up von Steven Spielbergs kurz zuvor veröffentlichtem Munich (München, 2005) schwärmt, da der Film Juden als harte Typen zeigt und ihre Chancen bei den Frauen dadurch steigen würden. »Eric Bana was the shit in that movie« verkündet Ben; in Funny People sollte Eric Bana dann wiederum eine Nebenrolle übernehmen.

Häufig erzählen die Filme aber auch davon, daß sich der Lebensstil der Freaks und Geeks nicht mit ihrer Umwelt vereinbaren läßt: Als Stubenhocker hat Andy in The 40-Year-Old Virgin wenig Chancen, eine Frau kennenzulernen, Ben wird in Knocked Up damit konfrontiert, daß arbeitslose Kiffer, die Luftschlösser bauen, keine idealen Väter sind, und wenn sich Tom in The Five-Year-Engagement in eine Jagdbegeisterung stürzt, die darin resultiert, daß jeder Haushaltsgegenstand aus den Überresten erlegter Tiere besteht, dann macht er die Entfremdung gegenüber seine Verlobten Violet damit perfekt. Die Nerds des Apatow-Universums werden einem Reality Check unterzogen, an dessen Ende sie Zugeständnisse machen müssen, die jedoch nie in Selbstaufgabe münden: Peter kann sein Dracula-Musical am Ende von Forgetting Sarah Marshall tatsächlich auf der Bühne sehen, aber erst, nachdem er sich zusammengerissen und seinen Liebeskummer überwunden hat, Andy verkauft seine Actionfiguren in The 40-Year-Old Virgin nicht, um, wie man ihm vorschlägt, einen eigenen Elektroladen aufzumachen, sondern um seine Traumhochzeit zu finanzieren, am Ende von Superbad haben Evan und Seth Freundinnen gewonnen, die sie so akzeptieren wie sie sind. Denn die anderen, die »Normalos«, bewegen sich ebenso auf die Apatow-Protagonisten zu: Am Ende von Role Models haben selbst Augies zuvor verständnislose Eltern gelernt, seine Begeisterung für Live-Rollenspiele zu verstehen, Aarons Freundin in Get Him to the Greek ist ebenso bereit Kompromisse in der Beziehung zu machen wie er und Zooey in I Love You, Man sieht Sidney, den besten Freund ihres Mannes Peter, nicht mehr als Rivalen um dessen Gunst, sondern lädt ihn nach einem Zerwürfnis zwischen ihm und Peter sogar zur Hochzeit ein.

Dies mag auf den ersten Blick konservativ erscheinen, predigen viele Filme aus der Traumfabrik doch die unkompromittierte Individualität, doch damit rutschen sie auch ins Märchenhafte ab. In den Filmen des Apatow-Prinzips hingegen scheint das Happy End nicht in dieser Form möglich zu sein, kein deus ex machina schreitet ein: Die Internetseite von Ben und seinen Freunden in Knocked Up startet nicht durch, im Gegenteil, Seth und Evan in Superbad werden nicht von jetzt auf gleich die coolsten Typen, sondern müssen erkennen, daß ihre zukünftigen Freundinnen sie schon vorher geschätzt haben, am Status Quo der beiden Hauptfiguren hat sich am Ende von Funny People wenig geändert, nur der gegenseitige Respekt hat sich vergrößert. Diese realistische Erdung macht sich auch in den Themen bemerkbar, die in den Apatow-Filmen vor komödiantischen Hintergrund, aber dennoch mit dem nötigen Ernst behandelt werden: Die erste große Liebe und das erste Mal Sex (The 40-Year-Old Virgin, Superbad), die (ungewollte) Schwangerschaft und die Bürden des Elternseins (Knocked Up), das Ende einer Beziehung (Forgetting Sarah Marshall), das Auseinanderleben von Partnern (The Five-Year Engagement), die Hochzeit (I Love You, Man) sowie Lebens- und Identitätskrisen (Funny People,_Get Him to the Greek_, Bridesmaids, Wanderlust, Role Models). Dieser realistische Kern tritt auch nie hinter etwas weiter hergeholten Prämissen wie der Idee einer 40jährigen Jungfrau oder der Odyssee eines kleinen Labelangestellten mit einem exzentrischen Rockstar im Gepäck nie zurück. Die Filme des Apatow-Prinzips verhandeln manchmal mehr, meist weniger abstrakt die Dinge des täglichen Lebens.

In den Portraits des Körpers bricht das Reale immer wieder besonders deutlich ins Apatow-Universum ein. Nacktheit verschafft den Filmen nicht nur das R-Rating in den USA, sondern geht auch weiter als vergleichbare Komödien: Während weibliche Nacktheit, vor allem entblößte Brüste, im amerikanischen Komödienkino häufig sind, so wird männliche Nacktheit selten inszeniert – ein Umstand, den Forgetting Sarah Marshall besonders deutlich ausstellt, wenn Protagonist Peter in dem Moment, in dem seine Freundin Sarah mit ihm Schluß macht, nicht nur metaphorisch, sondern tatsächlich entblößt und schutzlos vor ihr steht, in einer fast drei Minuten langen Szene. Während Nacktheit anderswo ästhetisiert wird (man denke an Sexszenen in vielen konventionellen Hollywoodfilmen), werden hier auch häufig unschöne Körperlichkeiten präsentiert, man denke an Bens nackten Hintern in Knocked Up, als Alison ihn nach ihrem One Night Stand betrunken in ihrem Brett liegen sieht. In genau diesem Film wird allerdings auch die weibliche Körperlichkeit gegen die Norm inszeniert: Alison, gespielt von der auf Romantic Comedy abbonierten Schönheit Katherine Heigl, wird nicht nur mit entblößtem Schwangerschaftsbauch und beim Sex im hochschwangeren Stadium gezeigt, es gibt auch einen Moment, der fast schon an einen Brechtschen V-Effekt erinnert: In der Geburtsszene zeigen Zwischenschnitte gleich drei Close-Ups des geöffneten Muttermunds. Ein ähnlicher Einbruch des Realen ist auch die Enthaarungsszene in The 40-Year-Old Virgin, für die sich Steve Carell tatsächlich das Brusthaar rupfen ließ. Doch nicht nur in solchen krassen Brüchen, auch in kleinen Gesten zeigt sich der Realismusgehalt des Apatow-Universums: Scheu gibt Lindsay Nick in Freaks and Geeks einen Kuß, eher um in aufzumuntern, Evan in Superbad ist vollkommen überfordert, als eine volltrunkene Becca ihm an die Wäsche will und dabei wenig sexy ist und wenn Steven und Lizzie in Undeclared nach einer Party ins Bett steigen, dann mühen sich die jungen Studenten mit Kleidungsstücken ab, die sich nicht so einfach ausziehen lassen – kein idealisierter, glatt laufender Sex, so wie er im Kino und Fernsehen häufig gezeigt wird.

Der Grund für diesen Realismus-Gehalt mag auch darin begründet sein, daß die Mitglieder des Apatow-Teams häufig eigene Erfahrungen verarbeiten: Superbad wurde von Seth Rogen und seinem Schreibpartner Evan Goldberg geschrieben, basierte auf ihren Highschool-Erfahrungen (nicht umsonst heißen die Hauptcharaktere nach den Autoren) und ursprünglich sollte zumindest Seth Rogen die Rolle des Seth spielen, zum Produktionszeitpunkt war er aber dann zu alt für die Rolle eines Teenagers. Den Moment der nackten Trennung aus Forgetting Sarah Marshall hat Drehbuchautor und Hauptdarsteller Jason Segel selbst erlebt, am Anfang von Funny People sind Videoaufzeichnungen eines Telefonstreichs zu sehen, den Adam Sandler und Judd Apatow in ihrer früheren WG gemacht haben, in Knocked Up hat Judd Apatow Erfahrungen verarbeitet, die er und Leslie Mann bei der Geburt ihres ersten Kindes gemacht haben (wie die Suche nach einem passenden Gynäkologen). Bens WG-Kumpel in Knocked Up werden von den Apatow-Spezis Jason Segel, Jonah Hill, Jay Baruchel und Martin Starr gespielt, deren Rollennamen die Vornamen der Darsteller sind. Maude und Iris, die Töchter von Judd Apatow und Leslie Mann, spielen im gleichen Film die Kinder von Manns Filmfigur Debbie, das derzeitige Logo von Apatow Productions ist eine Zeichnung von Iris Apatow – das Team um Apatow ist meist im übertragenen Sinne, gelegentlich aber auch tatsächlich eine Großfamilie.

Die meisten Mitglieder dieser Familie sind allerdings männlich, die häufig Personen jüdischen Glaubens darstellen, da Apatow und große Teile seines Stammteams Juden sind. Vor allem aber sind es Durchschnittstypen, die sich von klassisch-heroischen Männerbildern unterscheiden: Sie sehen durchschnittlich aus, haben mit Übergewicht zu kämpfen und träumen nur davon so gutaussehend oder so stark wie ihre medialen Vorbilder zu sein. Die seit Ende der 1980er konstatierte Krise der Männlichkeit hat neue Helden vorgebracht, die eben nicht mehr außergewöhnlich sind, außer vielleicht in ihrem Nerdtum. Gelegentlich haben sie glamouröse Berufe wie Komponist für Fernsehserien (Forgetting Sarah Marshall) oder Angestellter eines Plattenlabels (Get Him to the Greek), meist sind sie aber Elektroverkäufer, Köche oder sonstige Angestellte. Selten geben sie sich Illusionen bezüglich ihrer Stellung in der Gesellschaft hin, gelegentlich markieren die Männerrudel unter sich die großen Aufreißer, häufig zerstört bereits der erste Kontakt mit einer Frau diese Luftschlösser schnell – etwa dann, wenn Andy das von Jay vorgelebte Machotum in Gegenwart vor dessen Freundin raushängen läßt, Jay dagegen aber kleinlaut ist (The 40-Year-Old Virgin), Ben glaubt, Alison wolle ihn für weiteren Sex erneut sehen, sie ihm aber nur von ihrer Schwangerschaft erzählen will (Knocked Up) oder Seth seine Angebetete Jules im Vollsuff anbaggern will, diese aber unerwarteterweise komplett nüchtern ist und ihn wegen seines Zustandes zurückweist (Superbad). Wenn Seth dann in Tränen ausbricht und er auf die Frage, ob er weine, nur antwortet: »No, I just have something in both my eyes. I don’t cry, that’s funny«, dann hängt einem unerreichbaren Ideal nach. Meist sind die Apatow-Männer jedoch ehrlich bezüglich ihrer Position in der Welt, bis hin zu jenem Punkt in The 40-Year-Old Virgin, an dem Cal seine Selbsteinschätzung »I’m ugly as fuck« ohne jedes Bedauern ausspricht. Selten gehen die Apatow-Protagonisten ideal männlich konnotierten Hobbys wie der Jagd nach (The Five-Year-Engagement), meist sind ihre Aktivitäten zwar männlich, aber bei weitem nicht ideal oder heroisch männlich konnotiert: Kiffen, Videospiele spielen, Actionfiguren sammeln, kindische Scherze treiben, sich an einer Fantasy-Baseball-Liga beteiligen.

Die Frauen des Apatow-Universums sind auf beruflicher Ebene dagegen gleichberechtigt, haben häufig sogar die besseren Jobs: Während die männlichen Figuren in The 40-Year-Old Virgin als Angestellte in einem Elektromarkt arbeiten, der von einer Frau geleitet wird, betreibt Trish, die Angebetete von Andy, einen eigenen Ebay-Laden, Ben in Knocked Up ist ein arbeitsloser Träumer, Alison hingegen eine aufstrebende Moderatorin, Peter in Forgetting Sarah Marshall komponiert Musik für eine TV-Serie, seine (Ex-)Freundin Sarah ist allerdings deren Star. Das Apatow-Universum hat jedoch auch seinen Anteil an geerdeten Frauen, seien es Rezeptionistinnen, Psychologiedoktorandinnen oder Krankenschwestern. Was das Aussehen angeht, ist allerdings weniger Gleichberechtigung zu verzeichnen: Den Durchschnittstypen werden überdurchschnittlich schöne Frauen wie Kristen Bell, Emma Stone oder Catherine Keener zur Seite gestellt, hier driften die Filme dann auch ins Märchenhafte ab, wenn der unscheinbare Mann am Ende des Films die Schönheitskönigin erobert. Dafür, daß Apatows Helden den Kontrollverlust in ihrem Leben bewältigen, werden sie mit der Gunst einer schönen Frau belohnt. Apatows Filme wurden gelegentlich für ihr Frauenbild kritisiert und diese Kritik ist durchaus nachvollziehbar, wenn man auf jene Szenen schaut, in denen die Loser-Protagonisten immer wieder wie Models aussehende Mädels abschleppen, die vor allem sexy sind, ansonsten aber Randfiguren bleiben. Gleichzeitig – und das wird von Gegnern des Apatow-Prinzips gerne übersehen – beharren die Filme immer wieder darauf, daß die Protagonisten erst mit gleichberechtigten Partnerinnen ihre Erfüllung finden. In The 40-Year-Old Virgin kann Andy im Gegensatz zu seinen Kollegen nicht irgendwelche Betthäschen abschleppen, da ihn das nicht ausfüllt, doch auch seine Beziehung zu Trish gesundet erst, wenn er die Angst vor ihr ablegt, sie nicht als Göttin ansieht, sondern als gleichwertige Partnerin aus Fleisch und Blut. Daß Frauen in Filmen nach dem Apatow-Prinzip meist ähnlich auf Sex aus sind wie Männer kann man wahlweise als männliche Wunschfantasie als auch als Gleichberechtigung lesen – glücklich werden in diesen Filmen beide Geschlechter erst in einer gesunden gleichberechtigten Partnerschaft.

In einem Apatow-Portrait von Holger Römers im Film-Dienst 22/2008 wird darauf verwiesen, daß die idealen Partnerinnen im Apatow-Universum die sind, die sich in Männercliquen integrieren lassen. Denn Freundschaft wird hier als Wert großgeschrieben – nicht zuletzt werden viele Filme nach dem Apatow-Prinzip als »Bromance« oder »Bromedy« beschrieben. Geprägt wurde der Begriff Bromance in den späten 1990ern von Dave Carnie, Redakteur beim Skater-Magazin Big Brother, der damit die Beziehung von Skatern beschrieb, die gemeinsam ihrem Hobby nachgehen und dabei auch Hotelzimmer teilen. Als Bromance bezeichnet man heutzutage eine platonische bis romantische, aber nie sexuelle Beziehung zwischen zwei Männern, vor allem durch den Erfolg von Superbad werden Filme immer wieder gern als Bromance beworben. Die eventuelle Aussöhnung mit den Kumpels hat den gleichen Stellenwert wie die glückliche Beziehung, ein Film trägt das Lebensgefühl des Apatow-Kosmos gar im Titel: I Love You, Man.

Mit Bridesmaids allerdings ist das Apatow-Universum jüngst um die weibliche Perspektive erweitert worden. Geschrieben von den Schauspielerinnen Annie Mumolo und Kristen Wiig, letztere auch in der Hauptrolle zu sehen, und gedreht von Paul Feig, der mit Lindsay aus Freaks and Geeks die erste komplexe Frauenfigur des Apatow-Universums erfand, zeigt Bridesmaids auf, daß die Themen der Vorgängerfilme mit nur leichten Veränderungen auch mit einem weiblichen Cast funktionieren. Bridesmaids schaut auch beim Casting weniger auf klassische Schönheitsideale, präsentiert mit Melissa McCarthy nicht nur das weibliche Gegenstück zu übergewichtig-sympathischen Apatow-Spezis wie Seth Rogen und Jonah Hill, sondern wählt diese Figur noch dazu aus, das sexuell aktivste (und sexuell aggressivste) Mitglied des Ensembles zu sein. Hauptfigur Annie dagegen muß ihre Lebenskrise ebenso meistern wie Peter in Forgetting Sarah Marshall oder Ben in Knocked Up: Ihre eigene Bäckerei hat sie verloren, womit Bridesmaids Erfahrungen in der derzeitigen Finanz- und Wirtschaftskrise aufgreift, sie schlägt sich mit Jobs durch, die sie haßt, und wird von ihrem Lover ausgenutzt. Dabei geht sie nicht weniger unreif als die Mann-Kinder des Apatow-Universums vor, etwa wenn sie jedwede Verkehrsregel bricht, um die Aufmerksamkeit eines befreundeten Cops zu erhaschen – der sich als Kumpeltyp und damit idealer Partner im Apatow-Gefüge erweist. Ein Sequel zu dem erfolgreichen Bridesmaids ist geplant, sein Gespür für weibliche Perspektiven kann Judd Apatow gerade als einer der Produzenten der Comedyserie Girls vertiefen – die jedoch mehr von dem produzierenden Sender HBO und der Autorin, Regisseurin und Hauptdarstellerin in Personalunion, Lena Dunham, geprägt ist. Zu Zeiten von Knocked Up mußte sich Apatow noch Vorwürfe für seine Frauenbilder gefallen lassen, in die sogar seine Hauptdarstellerin Katherine Heigl nach Filmstart einstimmte. Apatow und Rogen verteidigten ihren Film, im Ende 2012 startenden Knocked Up-Spin-Off This Is 40 wird es nicht mehr um Ben und Alison, sondern um Alisons Schwester Debbie (Leslie Mann) und deren Mann Pete (Paul Rudd) gehen, Heigl war nie für eine Rückkehr angefragt, während Rogen aufgrund anderer Projekte absagte. Ben und Alison werden also nicht auftauchen, doch in einem Interview gab Apatow zu Protokoll, er glaube, daß die Figuren mittlerweile nicht mehr zusammen wären – eine irgendwie kindische, aber doch charmant-süffisante Retourkutsche, die auch von einer seiner Figuren kommen könnte.

Das Apatow-Prinzip hat Schule gemacht, der von Apatow entdeckte Jay Baruchel sollte in Fanboys (2008) und Zu scharf, um wahr zu sein (She’s Out of My League, 2010) seinen gewohnten Rollentypus verkörpern, Vorreiter Kevin Smith besetzte seinen Zack & Miri Make a Porno (2008) mit den Apatow-Spezis Elizabeth Banks und Seth Rogen (für den damit der Traum in Erfüllung ging, eine Hauptrolle für den Erfinder des Askewverse zu spielen), während 21 Jump Street (2012) Apatow-Bromance-Ideen mit einer Actionparodie kombinierte. Auch die Farrelly-Brüder, deren Erfolge Dumm und Dümmer (Dumb and Dumber, 1994) und Verrückt nach Mary (There’s Something About Mary, 1998) den Humor der US-Komödienlandschaft sichtlich beeinflußten, orientierten sich nach einigen Flops am der Marschrichtung des Apatow-Kosmos: Alles erlaubt – Eine Woche ohne Regeln (Hall Pass, 2011) mag zwar immer die gewohnten Gross-Out-Szenen enthalten, fährt diese aber zurück, um der Midlife-Crisis seiner Durchschnittstypen wesentlich mehr Raum zu geben, welche ihre Ehen als Gefängnis ansehen. Ähnliches Territorium wird auch This Is 40 beackern – man darf gespannt sein, wie dieser das Apatow-Prinzip weiterentwickelt, ob er die Komödienlandschaft beeinflußt und was das kreative Team um den Erfolgsproduzenten in den nächsten Jahren noch fabrizieren wird. 2012-08-19 16:17
© 2012, Schnitt Online

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