Fassaden
Von Nils Bothmann
Als Stirb langsam 1988 gewissermaßen das Actiongenre revolutionierte, waren es diverse Aspekte, die ihn von der Konkurrenz abhoben. Ein unwilliger Held, ein fähiger Jedermann, der einen Kontrast zu den Schwarzeneggers und Stallones bot, welche die Welt fast stets aus Prinzip retteten und ein anderes, da übermenschliches Heldenbild anboten, während John McClane stets näher an der Realität des Zuschauers ist. Ebenjener Cop kämpft hier gegen angebliche Terroristen sowie die Tücken der Technik, denn erstere besetzen ein Hochhaus, in dem fast alles über besagte Technik funktioniert, mit welcher der Held nicht vertraut ist: Einen Computer benutzt er lediglich dazu, eine selbstgebaute Bombe zu beschweren, ehe er sie einen Fahrstuhlschacht hinunterwirft.
Doch neben einer spannenden Geschichte und famos in Szene gesetzten Actionszenen sind es vor allem die Metaebenen, welche Stirb langsam so interessant machen, denn McTiernans Film hat weitaus mehr zu erzählen als die Anti-Terrorgeschichte. Neben dem Aspekt »Mensch vs. Technik« ist es auch die Frage nach Fassaden und Identitäten, die hier im Mittelpunkt steht. Fast jeder der Beteiligten spielt gewissermaßen eine Rolle den anderen gegenüber. Ganz offensichtlich sind es die deutschen Pseudo-Terroristen, die einen entsprechenden Sprachstil an den Tag legen, tatsächlich aber bloß die Wertpapiere aus dem Safe des Gebäudes stehlen wollen. Doch ihr Eingreifen zwingt weitere Menschen, neue Rollen anzunehmen. Da ist McClanes Frau, die als Geisel die Rolle der Unverheirateten spielt, damit die Gangster nicht auf die Idee kommen, daß der menschliche Störfaktor McClane erpreßbar sei. Holly verweist auf ihren Mädchennamen Gennaro, dreht die Familienfotos mit John um, damit die Fassade gewahrt bleibt.
Doch vor allem John ist es, der gezwungen wird zu spielen. Im Funkkontakt sowohl mit den Gangstern als auch mit der Polizei wird er dazu veranlaßt, sich eine Identität auszusuchen, ebenso wie die Pseudo-Terroristen eine Rolle wählen. Er nennt seinen wahren Namen nicht, worauf Terrorist Hans Gruber ihn direkt via Funk fragt, ob er einer jener Amerikaner sei, die als Kind zu viele Filme gesehen haben und sich nun für John Wayne, Marshall Dillon und Rambo in einer Person halten. McClane nennt Roy Rogers als sein Vorbild, was die Filmfigur auf den Punkt bringt: Von jemandem wie Hans Gruber will er sich nicht in eine Rolle, in eine Identität hineinpressen lassen, der Widerspruch erfolgt schon aus Prinzip. Selbst das Weihnachtsfest, vor dessen Hintergrund Stirb langsam stattfindet, wird sarkastischerweise zur Fassade: Während das Fest von Liebe und Hoffnung gefeiert wird, versuchen sich kapitalistische Gangster ihre eigene Bescherung zu verschaffen – selbst wenn sie dafür über Leichen gehen müssen. Gegen Ende des Films sprengt McClane mit besagter selbstgebastelter Bombe einen Teil der Hochhausfassade weg, und tatsächlich reißt Stirb langsam danach einige der Charakterfassaden ein. Metaphorisch leitet Stirb langsam seinen kathartischen Showdown ein, vom Gebäude regnende Wertpapiere ersetzen den Schnee und verweisen erneut auf die Beziehung von westlicher Gesellschaft und Weihnachtsfest – ein eindeutiger Beweis dafür, daß Actionfilme eben doch mehr sein können als »dumb movies for dumb people« wie Filmwissenschaftlerin Yvonne Tasker das Klischee mal ausformulierte.
1970-01-01 01:00