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Scream

USA 1996. R: Wes Craven. B: Kevin Williamson. K: Mark Irwin. S: Patrick Lussier. M: Marco Beltrami. P: Dimension, Woods Entertainment. D: Neve Campbell, Courteney Cox, David Arquette, Matthew Lillard, Rose McGowan, Skeet Ulrich, Liev Schreiber u.a.
111 Min.

Zwiegespräche

Von Nils Bothmann Seitdem Scream dem Horrorkino und vor allem dem Slasherfilm neues Leben einhauchte, den Teeniefilm zu einer marktbeherrschenden Kraft machte (mit American Pie wurde z.B. die Teeniekomödie einige Jahre später wieder populär) und zeigte, daß reflexives, auf Metaebenen operierendes, postmodernes Filmschaffen nicht allein das Feld von Tarantino und seinen Epigonen ist, ist Wes Cravens einflußreiches Werk immer wieder besprochen und analysiert worden. Kritiker, Fans und Filmwissenschaftler haben Scream (und seine Fortsetzungen) auf intermediale Referenzen, Cameos und Verweise abgeklopft, darüber geschrieben, wie der Film es schafft, gleichzeitig ein Genre zu ironisieren und zu bedienen, und welche Stellung er innerhalb seines Genres und der Filmographie aller Beteiligten einnimmt.

Vor allem ist Scream auch jenes Werk, das dem Killer des Slasherfilms seine Stimme wiedergab. In frühen Genrevertretern wie Jessy – Die Treppe in den Tod und Das Grauen kommt um 10 (den die berühmte Scream-Auftaktszene mit Drew Barrymore zitiert) hatte der Killer mit seinen Opfern kommuniziert, häufig via Telefon. Auch in Wes Cravens Nightmare – Mörderische Träume sprach Freddy Krüger mit seinen Opfern, trug durch gezieltes Verhöhnen zur Steigerung ihrer Angst (und der des Publikums) bei. Ende der 1980er und Anfang der 1990er hatten Freddy Krüger und Co. ihre Stimmen zwar nicht verloren, doch sie klopften nur noch Sprüche anstatt tatsächlich zu reden. In Hellraiser III – Hell on Earth beispielsweise war sogar der ehemals wortkarge majestätische Cenobit Pinhead zu einem weiteren, Oneliner darbringenden Bösewicht geworden, dessen Opfer herzlich egal waren. Andere Slasherikonen wie Michael Myers und Jason waren schon immer still gewesen, vor Scream hatte allenfalls der titelgebende Mörder in Candyman tatsächlich noch etwas zu sagen.

Doch die Eloquenz der wortgewandten Mordbuben in Scream und seinen Fortsetzungen geht weit über ein simples Mittel zur Spannungssteigerung hinaus, auch darüber, daß die Dialoge zwischen Täter und Opfer die Horrorfilmgeschichte immer wieder ansprechen und kommentieren. Der Killer in Scream, eine Chiffre, hinter deren Maske sich ein oder mehrere Personen egal welchen Geschlechts verbergen könnten, ist gleichzeitig Regisseur, Zuschauer und Figur seines ganz eigenen Horrorfilms, was er in besagten Telefongesprächen immer wieder zum Ausdruck bringt: Er ist der Mörder seines Films, gleichzeitig inszeniert er diese Bluttaten selbst und beobachtet seine Opfer nicht nur wie ein Stalker, sondern kommentiert ihr Handeln wie der Zuschauer eines Genrefilms. Gerade seine Kommentare zu den Verhaltensweisen der um ihr Leben bangenden Teens kann man als freudigen Mittelfingerzeig Cravens und Williamsons in Richtung all jener nervigen Klugscheißer verstehen, die sich aus dem gemütlichen Kinosessel heraus über die »unlogischen« Verhaltensweisen von Opfern in einem Horrorfilm beschweren – dabei wäre es doch gerade unglaubwürdig, würde eine in Lebensgefahr befindliche, Streß und Todesangst empfindende Figur ausschließlich rationale Entscheidungen treffen.

Im Horrorgenre ist es Tradition, daß oft Horrorfans die Hauptfiguren sind, welche die Bedrohung aufgrund ihrer Vorlieben eher erkennen als andere. Scream geht noch einen Schritt weiter: Nicht nur Videothekar und Filmfreak Randy, sondern ein Gros der Figuren ist mit dem Genre vertraut, Täter wie Opfer. Dementsprechend kennt der Killer sich nicht nur mit Genremustern aus, sondern auch mit den Komplikationen bei der Ausführung seiner Taten: Alibis müssen geschaffen werden, falsche Fährten gelegt, die Anonymität beim Töten gewahrt. Denn wo die Masken von Michael, Jason und Leatherface ein bloßes Utensil sind, da stecken hinter dem Ghostface in jedem Scream-Film ein oder mehrere aus der Handlung bekannte Charakter – ein Indiz dafür, daß Scream das im Slasherfilm lang vernachlässigte Whodunit wieder aufleben ließ. Zusammen mit den Protagonisten wird der Zuschauer dazu angehalten nach der Identität des Täters (oder der Täter) zu forschen, nach möglichen Motiven und nach dem möglichen Wie der Mordtaten und der Verschleierung derselben.

Doch dies sind nur einige Facetten eines ebenso witzigen wie spannenden Slasherfilms, der sein Genre eben nicht nur mit perfektem Timing und grandios geschriebenen Dialogen bedient, sondern der auch so unglaublich detailreich ist, daß jede Sichtung neue Erkenntnisse und Sichtweisen ermöglicht. Damit können auch die drei durch die Bank weg gelungenen Sequels nicht ganz mithalten, welche die Scream-Saga um weitere Themenkomplexe (Fortsetzungen, Reboots, neue Kommunikationstechnologien usw.) zu erweitern wußten. 2012-07-19 13:41
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