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Vom Winde verweht

Gone with the wind. USA 1939. R: Victor Fleming. B: Sidney Howard. K: Ernest Haller. M: Max Steiner. P: Selznick International Pictures, Metro-Goldwyn-Mayer. D: Vivien Leigh, Clark Gable, Leslie Howard, Olivia de Havilland, Thomas Mitchell, Barbara O'Neil, Evelyn Keyes, Ann Rutherford, George Reeves, Fred Crane, Hattie McDaniel u.a.
238 Min.

Eine unanständige Frau

Von Asokan Nirmalarajah Das Melodram, wie an vielen Stellen in Forschung und Kritik zu lesen ist, unterscheide sich vom klassischen Hollywoodfilm in seiner Adressierung eines dezidiert weiblichen Publikums. Bestünde die Attraktion der meisten Hollywoodgenres in der Identifikation mit einem dynamischen, traditionell männlichen Protagonisten, der trotz aller Hindernisse sein Ziel verfolgt, lade das Melodram zur Anteilnahme am Schicksal passiver, meist weiblicher Hauptfiguren, die es trotz gelegentlicher Ausbruchsversuche vorziehen, an den repressiven Strukturen ihres Milieus zu leiden. Daß diese Einteilung in traditionell männlich konnotierte Genres wie den Western, den Kriegsfilm oder den Gangsterfilm und das weiblich konnotierte Melodram nicht erst in Folge feministisch-kritischer Umschriften im amerikanischen Mainstreamfilm unhaltbar geworden ist, belegt das melodramatische Paradebeispiel klassischer Hollywood-Erzählkunst: Vom Winde verweht. Als ein Kino(event) voll paratextueller Superlativen (vom Budget bis zum Kassenerfolg), über dessen turbulente Produktion mehr berichtet wurde als über seine Handlung, dient die spektakuläre Filmadaption von Margaret Mitchells gleichnamigem Bestseller seit seiner Premiere 1939 als das wohl berühmteste Aushängeschild für die narrativen, formalen und produktionstechnischen Möglichkeiten des Hollywoodkinos in seiner Blütezeit. Damals mehrfach prämiert und auch heute immer noch als der – inflationsbereinigt – erfolgreichste Film aller Zeiten angeführt, mögen nur wenige Kritiker mit dem ideologisch prekären und von vielen Exzessen geprägten Publikumsliebling auf der Favoritenliste liebäugeln. Selbst Hauptdarsteller Clark Gable soll den Film später abschätzig als »woman’s picture« bezeichnet haben. Geschulte Kommentatoren stießen sich indes an der stereotypen, vorurteilsbehafteten Darstellung unmündiger Afroamerikaner, heiratssüchtiger Frauen und korrupter Amerikaner aus dem Norden des Landes in dem Film über die Zeit vor, während und nach dem US-Bürgerkrieg. Ohne diese Kritikpunkte zu leugnen musß man allerdings auch feststellen, daß es sich bei diesem Antikriegsfilm, der gänzlich ohne Schlachtszenen auskommt und komplett aus der Sicht der daheim gebliebenen Frauen erzählt wird, um ein über fast vier Stunden mitreißendes Melodram über eine energische Frau handelt, die nicht still leidet, sondern unbeirrt ihre Ziele verfolgt – so fehlgeleitet sie dabei auch sein mag.

Brillant gegeben von der damals noch relativ unbekannten Britin Vivien Leigh, kann die trotzig-aggressive Südstaatenschönheit Scarlett O’Hara gerade deshalb so faszinieren, weil sie keine Toleranz für den Opfer- und Leidensdiskurs ihrer Geschlechtsgenossinnen zeigt. In Abwesenheit der Männer ist es ihre Skrupellosigkeit, die die einst verwöhnte Plantagenbesitzertochter zu einer der erfolgreichsten und reichsten Geschäftsfrauen nach dem Krieg macht. Scarlett zögert dabei nicht einmal davor zurück, sich ihren Weg durch die Avancen vieler Männer zu bahnen, die sie mal zum Zeitvertreib von ihren eigentlichen Partnerinnen entfremdet, mal zur Erhaltung ihrer durch den Krieg finanziell ruinierten Familie ehelicht. Als der wohlhabende Bauernadel Georgias gegen den industrialisierten Norden in den aussichtslosen Krieg zieht, ist es die aufmüpfige, egoistische Scarlett, die die Baumwollplantage ihrer Familie aus eigener Kraft rettet. Dabei sucht sie wie fast alle Hollywood-Protagonisten doch nur nach der großen Liebe. Vielleicht ist diese männlich-aggressive, weiblich-sensible Darstellung Scarletts darauf zurückzuführen, daß das Mammutprojekt des Starproduzenten David O. Selznick zunächst unter der Regie des auf starke Frauenfiguren spezialisierten Filmemachers George Cukor in Produktion ging, nur um dann von dem rauen Abenteuerfilmregisseur Victor Fleming übernommen zu werden. Die generische Spannung zwischen Cukor, der die Darstellerinnen weiter privat beriet, und Fleming, der auf die Actionsequenzen und die bestmögliche Inszenierung seines besonders virilen Stammschauspielers Gable bedacht war, schlägt sich in einem Film nieder, der mit seinen großen, atemberaubenden set-pieces ebenso zu involvieren weiß wie mit seinen intensiven, äußerst nuancierten Liebesszenen.

Denn wie oft haben sich die Milliarden von Zuschauern nicht schon die Frage gestellt, wie sich die so lebenslustige, temperamentvolle Scarlett ausgerechnet in den kultivierten, aber blassen Südstaaten-Gentleman Ashley Wilkes verlieben konnte. Vielleicht weil er ihr als Einziger nicht nachstellt und mit seiner Cousine Melanie Hamilton statt Scarlett einen unmöglichen Gutmenschen heiratet? Oder weil sie meint, nur durch ihn zu einer angesehenen Dame der Gesellschaft zu werden, die sie aufgrund ihrer ungenierten Transgressionen patriarchaler Verhaltensregeln nie wirklich sein kann? Der einzige Mann, der sie bereits früh durchschaut, findet er sich doch selbst in ihr gespiegelt, ist der forsche, verwegene Frauenheld Rhett Butler. Famos verkörpert vom breitschultrigen, unglaublich charismatischen und oft ironisch-skeptisch vor sich hin schmunzelnden Gable, ist Rhett der eigentliche tragische Held des Films, weil er die ganze Handlung über Scarlett vergeblich zu gewinnen sucht, auch nachdem sie bereits seine Frau geworden ist. Wie die Zuschauer ist Rhett fasziniert von Scarlett, weil sie so sehr vom zeitgenössischen Frauenbild des amerikanischen Südens um 1860 abweicht. Und er macht sich an die verheißungsvolle Zähmung der Widerspenstigen, weil er einfach nicht anders kann. Scarlett dagegen wird durch ihre männlich konnotierte Unnachgiebigkeit und ihre Liebe zum Mann einer anderen für die »anständigen« Frauen ihres Milieus, die um weibliche Demut und Sittlichkeit besorgt sind, zur persona non grata.

Doch Scarlett weigert sich, unter dem strafenden Blick der Gemeinde zu leiden wie die Protagonistin des Melodrams. Sie verliert sich lieber ganz in dem ironisch überspritzten wie altmodisch bewegenden Liebeskarussell des Films, in dem sie zwischen ihrer Liebe zum idealistischen Ashley und ihrer Lust auf den rebellischen Rhett hin- und her geworfen wird. Das gestaltet sich in der ersten Hälfte des Films als eine unterhaltsame Beziehungsfarce, vor allem in den genüsslichen Tête-à-têtes zwischen Leigh und Gable, die den hölzernen Liebesszenen zwischen Leigh und Leslie Howard als Ashley gegenüberstehen. In der zweiten, etwas schwächeren Hälfte schlägt der Spaß in ein kammerspielartiges Ehedrama um, das die Handlung von den spektakulären Außenaufnahmen brennender Städte in Scarletts prunkvolle Gemächer verlegt. Nach der Intermission folgt eine schier unfassbare Serie von Schicksalsschlägen, die Scarletts Liebes- und Lebensglück gefährden. Manche Kritiker meinten, die zweite Hälfte des Films, in der Scarlett alles verliert wofür sie in der ersten noch so verbissen gekämpft hatte, sei die Bestrafung der bürgerlichen Ideologie des Melodrams für ihr »unanständiges« Verhalten als Frau. Dabei wird jedoch vergessen, daß der Film nicht mit den berühmten Abschiedsworten des ernüchterten Rhett Butlers endet: »Frankly, my dear, I don’t give a damn.« Vom Winde verweht schließt wie er begonnen hat in einem dramatischen Schwebezustand auf einer Treppe, von der Scarlett auch dieses Mal wieder aufsteht, um auf sich alleine gestellt ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Denn Scarlett O’Hara, und das macht sie zu einer der schillerndsten Leinwandprotagonistinnen des amerikanischen Kinos, gibt sich nicht einfach zufrieden mit ihrem zugewiesenen (Genre-)Schicksal: »After all… tomorrow is another day.« 2010-12-17 12:38

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