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Full Metal Jacket

USA 1987. R,B: Stanley Kubrick. B: Michael Herr, Gustav Hasford. K: Douglas Milsome. S: Martin Hunter. M: Abigail Mead. P: Warner Bros. Pictures, Natant u.a. D: Matthew Modine, Adam Baldwin, Vincent D'Onofrio, R. Lee Ermey u.a.
116 Min. Warner ab 8.10.87

In einer Welt voll Scheiße

Von Martin Thomson Kein Krieg des 20. Jahrhunderts hat amerikanische Regisseure zu besseren Filmen angeregt als der Vietnamkrieg. Der 1. Weltkrieg, von All Quiet on the Western Front einmal abgesehen, wurde von den Filmemachern weitgehend ignoriert, und der 2. Weltkrieg machte es den amerikanischen Regisseuren und Produzenten aufgrund seiner Popularität und seiner allseits anerkannten moralischen Richtigkeit leicht, konventionstreue Heldengeschichten zu erzählen, die wenig Spielraum offen ließen für den Zweifel an der Notwendigkeit von Krieg. Der von den USA angetriebene Vietnamkrieg war denkbar unpopulär und über die Tatsache hinaus, daß er mit einer Massenbewegung in der westlichen Zivilisation zusammenfiel, die der Interventionspolitik der amerikanischen Regierung mit Ablehnung gegenüber stand, war er auch ein wichtiger Sammelpunkt für all jene Auteurs, die eine filmische Auseinandersetzung auf formaler Ebene anders aussehen lassen wollten als es die vorherige Generation der Studioregisseure im Umgang mit dem 2. Weltkrieg vorgemacht hatte. Ein mit Zweifeln behafteter Krieg machte mit Zweifeln behaftete Filme, also gänzlich neue Darstellungsformen, unabdingbar. Michael Cimino kontrastierte in The Deer Hunter das harmonische Leben einer Gruppe Bergarbeiter mit deren anschließenden Erlebnissen in Vietnam und schuf damit als erster ein ganz eigentümliches Gefühl für die Zerrissenheit der Heimkehrer. Francis Ford Coppola gelang es in seinem mystisch-metaphysischen Diskurs Apocalypse Now, Krieg wie eine erschreckende Drogenhalluzination aussehen zu lassen um dadurch auf adäquate Weise den Realitätsverlust der US-Soldaten in Vietnam zu visualisieren, und Oliver Stone steuerte mit seinem, in jeder Einstellung spürbar-persönlichen Beitrag Platoon einen inszenatorisch eher klassisch, aber inhaltlich höchst brisanten filmischen Kommentar bei. Stanley Kubrick, der es wie kein Zweiter verstand, eingetretene Genrepfade unter Einsatz neuartiger Filmtechnik zu revolutionieren, traf mit seinem Vorhaben, einen Vietnamkriegsfilm zu machen, eine ungewohnte Situation vor, denn angesichts der vorangestellten Meisterwerke konnte er unmöglich ein Novum innerhalb des Genres vorlegen. Obgleich Kubrick behauptete, kein spezifisches Interesse an Vietnam, sondern am Thema Krieg selbst gehabt zu haben, wäre Full Metal Jacket doch spätestens ab der zweiten Hälfte vor dem Hintergrund einer anderen Kulisse undenkbar; womit sich abermals zeigt, daß Vietnam in der Filmgeschichte zum Synonym für die Dekonstruktion der amerikanischen Ideale an sich geworden ist. Kubrick setzt sich nicht mit dem explizit amerikanischen Identitätsverlust auseinander, der mit Vietnam einherging, sondern mit dem illusorischen Innenraum einer rein äußerlichen Ideologie. Dadurch ist sein Film vielleicht nicht unbedingt ein Vietnamkriegsfilm, aber kein anderer Krieg, als der in Südostasien, wäre geeigneter gewesen, diesen Raum zu eruieren.

Strukturell gesehen zeigt sich Kubrick mit Full Metal Jacket keinerlei dramaturgischen Konventionen verpflichtet. Sein Film zerfällt in zwei Einzelteile, die fast schon als eigenständige, in sich geschlossene Filme Bestand haben. Da wäre die entwürdigende Rekrutierung der jungen Männer, die auf der Militärinsel Parris Island von einem Drill Seargant mit faschistisch anmutenden Methoden jeder Individualität beraubt werden und die im anschließenden Teil lose aufbereiteten Kampfhandlungen einer Gruppe Soldaten während der Tet-Gefechte in Vietnam. Die inhaltliche Zweiteilung des Films veranlaßte Kritiker nicht selten dazu, Kubrick eine gewisse Entscheidungsunfähigkeit vorzuwerfen. Tatsache ist, daß am Ende beider Teile zwei Figuren an der unbarmherzigen Tötungslogik ihrer Erzieher zugrunde gegangen sind. Zum einen der physische Außenseiter Private Paula, der sich und seinem tyrannischen Ausbilder das Leben nimmt, und Private Joker, der extrovertierte Opportunist, der eine Scharfschützin hinrichtet, um anschließend, mit einem Micky-Maus-Lied auf den Lippen, in einer brennenden Stadt seinem Untergang in der zivilen Welt entgegenzusehen. In gewisser Weise sind beide Teile einander Spiegelbilder; wo im ersten Teil die Strukturen von Macht und Instanz schon im Bildaufbau einer totalitären Ideologie der Ordnung entsprechen, da entpuppen sie sich im zweiten Teil als innerlich leer. Wenn Kubrick in Barry Lyndon die Absurdität der kriegerischen Szenerie darin offenbarte, daß zwei robotisch anmutende Armeen feuernd aufeinander zuliefen, dann scheint es im zweiten Teil von Full Metal Jacket keinen sichtbaren Feind mehr zu geben und der zersetzende Körper, der im ersten Teil des Films die starre Konstruktion auflöst, wird im zweiten Teil zum zoomenden, gottgewordenen Kameraobjektiv, das die G.I.s in der finalen Schlachtsequenz wie seelenlos gewordene Kreaturen bei Zeitlupe in den Tod rafft.

Full Metal Jacket ist im engeren Sinne ein Film über das leere Zentrum der menschlichen Vernunft, in der die einzige Instanz, die Ordnung, jedem höheren Zweck entfremdet ist. Es ist eine gottlose Welt, die Kubrick hier beschreibt, eine Welt, die sich ihre eigenen Götter geschaffen hat und das Scheitern dieses Prinzips in synkopischen Bildern zu entflammen versteht – Stanley Kubrick ist mit Full Metal Jacket ein virtuoser Blick in die schweigsame Kälte der menschlichen Existenz geglückt. 1970-01-01 01:00
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