Großes Kino zum Lesen
Von Carsten Happe
Es ist zugegebenermaßen ein dankbares Sujet, die Filme von Terry Gilliam und seine wechselvolle Karriere eingehender zu beleuchten und zu analysieren. Einerseits strotzen nahezu alle seiner Filme vor verschiedensten Bedeutungsebenen, Zitaten aus der Film- und Kunstgeschichte, Mythen und Legendenschreibungen, sind zumeist bis ins kleinste Detail mit Verweisen und Anspielungen vollgestopft, die mannigfache Lesarten geradezu herausfordern. Darüber hinaus bilden die Produktionsgeschichten aller realisierten und nicht realisierten Gilliam-Filme seit Brazil ein Füllhorn kleinerer und größerer Katastrophenanekdoten, die in ihrer fast schon schicksalhaften Konzentration auf diesen ungemein talentierten Regisseur und Autor den Stoff für einen, wenn nicht gleich mehrere Filme abgäben.
All dies weiß Mühlbeyer in seiner Monographie zu bedienen – und er tut es mit der dem Anlass angemessenen Akribie. Trotz der mehr als vier Jahrzehnte umspannenden Karriere Gilliams ist sein Oeuvre aus vielfältigsten Gründen eher überschaubar, was es Mühlbeyer gestattet, den einzelnen Werken und ihren intertextuellen Verknüpfungen ausführlichen Platz zuzugestehen. Die profunde Analyse der Traumlogik und der Erzählmuster in Gilliams Filmen ist allein schon spannend zu lesen, der Gossip über die Auseinandersetzungen mit renitenten Studiobossen, die Gilliams rauschhafte Bilderfolgen in gängige Schemata pressen wollen, macht allerdings noch mehr Spaß, trotz aller Empathie für Gilliams künstlerische Integrität. Wie Sid Sheinberg, seinerzeit Geschäftsführer der Universal-Mutter MCA, sich monatelang weigerte Gilliams Version von Brazil in die Kinos zu bringen und letztlich eine entstellende eigene Fassung herstellen ließ; wie Thomas Schühly, Produzent der Abenteuer des Baron Münchhausen, sich vollständig verkalkuliert hatte und das gesamte Projekt in eine abenteuerliche Schieflage brachte, die man dem fertigen Film teilweise auch ansieht; wie die Dreharbeiten zu Gilliams Don Quixote-Projekt komplett eingestellt werden mussten, nachdem ein Unwetter die Kulissen weggespült und Hauptdarsteller Jean Rochefort seinen Rücken verknackst hatte; wie schließlich Heath Ledger inmitten der Dreharbeiten zu Das Kabinett des Doktor Parnassus verstarb und die klaffende Lücke letztendlich von Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell gemeinschaftlich gefüllt wurde – das alles ist ganz großes Kino, das sich zu lesen ungemein lohnt. Das leider etwas nachlässige Lektorat schmälert den Genuss ein wenig, wohingegen die kommentierte Filmo- und Bibliographie kaum noch Wünsche offen lässt. Wenn der Anspruch eines Filmbuchs sich darin mißt, die behandelten Werke unbedingt wieder oder auch zum ersten Mal sehen zu wollen, hat ihn Perception Is a Strange Thing mühelos erfüllt.
2010-02-17 12:47