Fernsehen mit Perspektive
Von Oliver Baumgarten
Drei der zurzeit interessantesten deutschen Regisseure diskutieren in einer Ausgabe von »Revolver« über den deutschen Film. Sie beschließen, ihre Thesen zu überprüfen, indem sie unabhängig voneinander mit ihren individuellen Ausdrucksmitteln drei Filme drehen, die auf der selben losen Grundsituation und -figuration basieren. Das Ergebnis, das ARD-Projekt
Dreileben, ist grandios. Allerdings keineswegs deswegen, weil es etwa einen spannenden Kriminalplot um einen entflohenen Sträfling jeweils aus den Perspektiven von Polizei, Täter und Opfer liefern, es also drei Geschichten präsentieren würde, deren Story wie Zahnräder ineinander greifen, sodaß jede offene Stelle im Film des einen durch ein Detail im Film des anderen geschlossen würde. So schien es bei seiner Ausstrahlung rezipiert worden zu sein. Der wirkliche Reiz von
Dreileben aber liegt ganz woanders. Es ist nicht einfach ein multiperspektivischer Krimi, sondern vielmehr ein nachdrückliches Plädoyer für die Berechtigung des Autorenfilms. Was würden drei Regiepersönlichkeiten mit unterschiedlicher Handschrift wohl mit der selben Grundsituation anfangen, dem selben Ort, dem selben Handlungszeitpunkt, den selben Figuren? Allein zu sehen, wie sich der thüringische Ort Dreileben verändert: Christian Petzolds Dreileben ist menschenleer, der Ort ist tot und entvölkert. Wie in
Gespenster und
Yella bewegen sich die wenigen Figuren geisterhaft durch die Szenerie. Dominik Graf hingegen beschreibt Dreileben als Ort der Konfrontation, als Ort, an dem Vergangenheit und Gegenwart, Gut und Böse, Mann und Frau miteinander ringen. Es ist die Perspektive der Ermittler, Polizeiwagen bevölkern die Straße, Sirenen und Funksprüche lärmen durch die Nacht. Bei Christoph Hochhäusler schließlich begleiten wir den Täter, der auch Opfer ist, in den Wald, in das Dickicht seines Selbst, wo er das Kind trifft, das er so gerne sein würde. Persönliche Lesarten von Orten, Interpretationen von Atmosphäre, subjektive Ansichten von Situationen: Film wird erst durch die individuelle Prägung seiner Macher spannend, das zeigt das
Dreileben-Projekt nachhaltig. Es ist Fest und Manifest zugleich für die Pflege filmischer Handschriften – auch und gerade im Fernsehen.
2012-11-08 16:03