Sterben – Schlafen – Nichts weiter!
Von Martin Thomson
In Gerry verirren sich zwei Freunde bei einem Spaziergang in der Wüste. Statt dies zum Anlaß für eine spannende Odysee zu nehmen, in deren Verlauf die Reisenden in Rückbesinnung auf ihre archaischen Wurzeln zu tatkräftigen Männern werden, beschränkt sich Gus Van Sant darauf, sie in langen Einstellungen dabei festzuhalten, wie sie einfach nur durch die verlassene Landschaft gehen und dabei schrittweise ihr Leben ausbluten. So setzt an einer Stelle des Films eine dreieinhalbminütige Plansequenz ein, die einem nichts anderes als das Profil der beiden stumm nebeneinanderherlaufenden Wanderer zeigt. Wer über den Schock hinwegkommt, der sich angesichts der pointenlosen Dauer dieser Sequenz einstellt, dessen Wahrnehmung öffnet sich für eine sinnliche Erfahrungsdimension, die sie von ihrer zwanghaften Suche nach einer festlegbaren Bedeutung des Gesehenen erlöst. Irgendwann ist nur noch das gleichmäßige Geräusch der vom Kiesboden knirschenden Schritte zu hören, unterdessen die Gesichter der Wanderer zu bloßen, sich bewegenden Formen verschwimmen.
Mit einem radikalen Minimalismus ein Sehen zu fördern, das die Personen und Gegenstände im Unbestimmbaren, das sie in den Bildern Bilder zu sein beläßt: Darauf haben es die Regisseure einer ganz bestimmten Sorte von Filmen abgesehen, die sich – wie nun auch Der Fluss war einst ein Mensch – dem Genre des Aussteiger- Dramas zuordnen lassen. In deren Zentrum stehen zumeist einsame, auf ihrer Suche nach dem Nicht-Sein vom Weg abgekommene Männer, die in der Natur auf sich selbst zurückgeworfen werden. Abseits aller hinfällig gewordenen Referenzbereiche läßt sich das Wahrgenommene nicht mehr länger verorten, beschwört die eingetretene Leere rein optische und akustische Situationen herauf.
Eine Leere, die kein Nichts ist, sondern ein Raum mannigfaltiger Resonanz: Als würden die Geräusche in einem widerhallen, während die Bilder den eigenen Blick aufbrauchen. Ein endlos anmutendes Hinübergleiten in den schweren Schlaf des Todes, dem auch die namenlose Hauptfigur in Der Fluss war einst ein Mensch verfällt. Was für Träume einem darin wohl kommen mögen, ließ Shakespeare seinen Hamlet sich fragen. Worauf Jan Zabeil eine Antwort gibt, die in filmischer Form nur paradox ausfallen kann.
Denn während der in Afrika umherirrende Protagonist sich lebend wähnt, wie es gleichermaßen sein Erscheinen auf der Leinwand suggeriert, ist er als Bild schon längst, was er noch nicht erkannt hat zu sein: bereits tot. So wie der Träumende niemals sicher weiß, ob er schon schläft oder noch wacht, perpetuiert Zabeil die in vielen Kulturen anzutreffende Vorstellung, daß man das Zeitliche schon längst gesegnet haben könnte, wenn man sich noch in der Welt der Lebenden zu befinden vermeint. Das Kino, das einen stets in den wachträumerischen Schlummer der Selbstvergessenheit wiegt, um als lebendig zu behaupten, was immer schon tot ist, vermag diese Grenzen noch kompromißloser aufzulösen. Die formale Konzentration, die sich Van Sant sowohl von den Minimalisten als auch von den Bilderstürmern der Filmgeschichte abgeschaut hat, erreicht Zabeil allerdings nicht. Mit einer wackeligen Handkamera lassen sich die natürlichen Phänomene nicht auf eine Weise durchdringen, daß das sprichwörtliche Zittern der im Winde sich regenden Blätter spürbar wird. Obwohl es bemerkenswert ist, was er immer wieder aus einem Mindestmaß an filmischen Mitteln herausholt, mangelt es seinem Werk an einer strengen Misé-en-scene und einer prägnanten Kameraführung, die nötig wären, um keine tatsächliche, sondern eine reflektierte Langeweile zu erzeugen.
Darüber hinaus entpuppt sich die Trockenlegung des Erzählflusses immer wieder als Mogelpackung. Oftmals ist Zabeil zu inkonsequent, um ihn nicht stets in handlungsmotivierte Abzweigungen umzumünden, statt ihn beharrlich zum Versiegen zu bringen. Spätestens mit Eintritt des Helden in ein Dorf, das von gespenstischen Eingeborenen bewohnt wird, schlägt er dann gar eine ethnomythologische Richtung ein, die einen an das wohlbekannte Ufer der Kritik am touristischen Ideal des weißen Mannes spült, der aus fauler Kontemplation heraus die symbolische Ordnung der edlen Wilden verletzt. Die Suche nach Sinn und Bedeutung ist nicht totzukriegen. Zumindest nicht so schnell.
2012-09-26 16:17