Themaverfehlung
Von Jakob Stählin
Marleen Gorris hatte schon seit geraumer Zeit vor, Eugenia Ginzburgs Leben zu verfilmen. Durchaus verständlich, handelt es sich dabei doch um einen sehr dankbaren Filmstoff, der in autobiographischen Veröffentlichungen detailliert geschildert vorliegt: In Stalin-Rußland wird die gutsituierte Literaturprofessorin Ginzburg aus absurden Gründen verhaftet, aus noch absurderen Gründen verurteilt und schließlich in ein Arbeitslager verfrachtet, wo sie ihre zweite Liebe kennenlernt. Das Drehbuch schreibt sich quasi von selbst; mit all seinen Höhen und Tiefen bis hin zum Happy End mitsamt der weltumarmenden Botschaft, niemals aufzugeben und stets in den kleinsten Dingen die geraffte Schönheit der Schöpfung zu sehen.
So beeindruckend und spiegelbildlich für zahllose politisch Verfolgte dieses Einzelschicksal ist, so wenig schafft es Gorris, die Gefühle, die damit einhergehen, spürbar zu machen. Die filmischen Kniffe sind altbacken, etwa wenn die Überstürztheit der Verhaftung durch Aussparen der Inszenierung derselben versinnbildlicht wird und Schnitt für Schnitt der Gulag rasend näher kommt, in dem Ginzburgs Heimweh durch das imaginäre Erscheinen ihrer Kinder gezeigt wird. Dieser narrativen Eindeutigkeit steht das Spiel Emily Watsons und Ulrich Tukurs krass entgegen, die ihr Glück in den leisen Tönen suchen. Das kann natürlich nicht gutgehen und so führen die hoffnungsvoll lebensbejahenden Szenen zwischen den beiden nicht dazu, das Grauen zu kontrastieren, vielmehr entsteht der Eindruck, einer fünfzehn Jahre währenden Klassenfahrt mit Toten beizuwohnen: nachmittags Kräuter pflücken mit dem schicken Doktor, abends Brot klauen mit den Mädels. Das darf nicht passieren. Dafür ist das Thema schlicht zu ernst und die Geschichte zu real.
Ginzburgs Mantra ist über die gesamte Filmlänge ein Gedicht Osip Mandelstams, das immer und immer wieder aus dem Off zu hören ist: »Man gab mir einen Körper – was fang ich mit ihm an, / Mit diesem einen, der mein ist so ganz?« Die brutale Härte mit der diese Aussage unter solchen Umständen zerstört wird, läßt Mitten im Sturm außen vor, definiert Hoffnungsverlust als menschliche Schwäche und verfehlt somit völlig sein Thema, an das Leid vieler zu erinnern.
2011-04-29 12:05